M. Meier: Von Notstand und Wohlstand

Cover
Titel
Von Notstand und Wohlstand. Die Basler Lebensmittelversorgung im Krieg, 1914–1918


Autor(en)
Meier, Maria
Reihe
Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 6
Erschienen
Zürich 2020: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 58,00
von
Gertrud Schmid-Weiss

Wie später im Zweiten, wurde die Schweiz auch im Ersten Weltkrieg nicht unmittelbar in kriegerische Auseinandersetzungen involviert. Doch wirkten sich gestörte Handelsbeziehungen mit dem Ausland in vielen Bereichen auf den Schweizer Alltag aus. So erwies sich auch die Lebensmittelversorgung als zunehmend schwierig. Für den peripher gelegenen Stadtkanton Basel mit seinem lediglich marginalen Landwirtschaftsanteil wirkte sich der eingeschränkte oder gar unterbrochene Zugang zu Agrarerzeugnissen des angrenzenden Auslandes besonders gravierend aus. Wie überall in der Schweiz standen die Behörden vor einer unübersichtlichen Aufgabe. Einerseits konnte niemand eine vierjährige Kriegsdauer absehen und anderseits erwiesen sich die Anliegen und Ansprüche von Städtern und der Bauernschaft oft als gegensätzlich.

Dieser Problematik der erschwerten Beschaffung von Nahrungsmitteln und deren möglichst gerechten und günstigen Verteilung an die Bevölkerung verpflichtet sich die kürzlich von der Universität Luzern angenommene Dissertation von Maria Meier. Die Studie ist Teil eines Sinergia-Projektes der Universitäten Bern, Genf, Luzern und Zürich zum Zentenar des Kriegsbeginns 1914.

Meiers Forschungsbereich ist komplex, sie grenzt ihn auf die Frage ein, wie sich der Mangel an Nahrungsmitteln auf den Alltag der Menschen auswirkte – und dies aus der Perspektive einer städtischen Gesellschaft. Im Weiteren richtet sich ihr Interesse auf die Auswirkungen der Ernährungskonflikte auf das soziale Leben. Antworten auf diese Fragestellungen gibt Meier in den drei Hauptkapiteln über die Beschaffung von Lebensmitteln, den Lebensmittelmarkt und die stützenden staatlichen Massnahmen wie Massenspeisungen und die Notstandsaktion. Weitere soziale Stützmassnahmen wie etwa individuelle monetäre Fürsorgebeiträge, Militärunterstützung für Angehörige von Wehrpflichtigen oder Mietzinsbeihilfe stehen nicht im Fokusbereich der Fragestellung und werden von der Autorin nicht thematisiert.

Nach den beiden kurzen einführenden Kapiteln gibt das dritte Kapitel Einblick in die Aktivitäten der Behörden zwecks Lebensmittelbeschaffung. Als naheliegende Sofortmassnahme erliess der mit Generalvollmacht ausgestattete Bundesrat ein Ausfuhrverbot für Getreide. Meier beschreibt, wie die kantonalen Entscheidungsträger Vorräte verwalteten und dem Schmuggelwesen entgegenzutreten versuchten. Zur Verbesserung der Versorgungslage ordneten die Behörden 1917 den zusätzlichen Anbau von Kartoffeln und Gemüse an, überall dort, wo im Stadtkanton etwas Grünfläche vorhanden war. Der hierfür von der Autorin verwendete Begriff «Anbauschlacht» (S. 105) irritiert, denn dieser Terminus gehört zum kollektiven Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs. Dies erklärt Meier denn auch auf Seite 115 in einer Fussnote.

Als grösstes Alltagsproblem nennt Meier in Kapitel vier die Teuerung. Diese hatte ihre Ursache nicht allein in der Einfuhrunsicherheit und dem daraus entstandenen Mangel an Lebensmitteln. Sie wurde auch durch Hamsterei und Spekulation angetrieben. Um dieser künstlichen Preissteigerung entgegenzuwirken, erliess der Bundesrat bereits in den ersten Kriegstagen eine Verordnung gegen Wuchergeschäfte und Hamsterkäufe. Meier zeigt im Folgenden auf, wie Produzenten und Händler versuchten, die Verordnung zu umgehen und wie Ämter und Beamte zum Beispiel mit der Festsetzung von Höchstpreisen gegensteuerten. Für sie galt es – so Meier – den Mangel zu verwalten (S. 181).

Je länger der Krieg dauerte, umso mehr Menschen gerieten in finanzielle Bedrängnis. «Massenspeisungen», so die damalige Benennung, und die staatliche Notstandsaktion deutet Meier im fünften Kapitel aus. Massenspeisungen war der Überbegriff für staatlich subventionierte, öffentlich zugängliche Esslokale. Die preisgünstige Abgabe von Suppen und Mahlzeiten sollte eine ausgewogene Ernährung der Bevölkerung garantieren. Detailreich gibt die Autorin Einblick in den Aufbau und den Betrieb solcher Einrichtungen. Die staatliche Notstandsaktion hingegen war individuell und zielte darauf ab, unverschuldet in Not geratenen Personen mit Barbeträgen oder Gutscheinen zu helfen.

Die Erkenntnisse von Meier beruhen auf umfassender Quellenarbeit, schwerpunktmässig im Staatsarchiv Basel-Stadt. Man erkennt, dass nicht allein die Beschaffung von Nahrungsmitteln schwierig war, sondern dass auch divergierende Auffassungen über Vorgehensweisen und die Notwendigkeit von Stützmassnahmen bestanden. Zitierte und paraphrasierte Akteninhalte lassen Leserinnen und Leser die Schwierigkeiten von Behörden – eine Auflistung der wichtigsten Ämter würde die Übersicht erleichtern – und die Nöte der mittleren und unteren Einkommensgruppen nachvollziehen. Eine Familie mit mittlerem Angestellteneinkommen konnte die enorme Teuerung gerade noch knapp verkraften. Die Arbeiterschaft jedoch musste schon in normalen Zeiten mehr als die Hälfte ihrer Entlöhnung für Lebensmittel aufwenden. Für sie wurden die bis Kriegsende auf mehr als das Doppelte gestiegenen Lebenshaltungskosten zur Existenzfrage, oft verbunden mit dem Empfinden, ungerecht behandelt zu werden.

Maria Meier erläutert in ihrer Dissertation auf mikrogeschichtlicher Ebene die amtlichen Strukturen sowie unter Beizug von Ego-Dokumenten die Lebenssituation der Bevölkerung. Mit diesem Ansatz verknüpft sie Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte zu einem eindrücklichen Ganzen. Der schnörkellose, gut verständliche Text sowie die ausgezeichnete Leserführung machen die sehr informative Studie überaus lesenswert.

Zitierweise:
Schmid-Weiss, Gertrud: Rezension zu: Meier, Maria: Von Notstand und Wohlstand. Die Basler Lebensmittelversorgung im Krieg, 1914–1918, Zürich 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 558-560. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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